Die Adventskranzkerzenfrage
Die Adventskranzkerzenfrage ist alles entscheidend und bestimmt
über das Wohl und das Wehe der Vorweihnachtszeit.
Ist sie entschieden, so ist sie vermeidend, das heißt,
erspart uns allen viel Leid.
Ist sie es nicht und ist die Antwort noch offen,
so kann das Ende grausam sein
und es bleibt uns allen nur noch zu hoffen:
Der verursachte Schaden ist und bleibt klein.
Doch die Frage geht tief und ist philosophischer Natur:
Soll eine Kerze zunächst ganz alleine abbrennen,
individualistisch wie die Gesellschaft und nur
ihr eigenes Schicksal für sich stets erkennen,
oder soll solidarisch jede Kerze reihum mal entflammen,
sodass ein gleichmäßiges Abbrennbild entsteht.
Bevorzugungen könnte man somit verdammen
und dafür sorgen dass die VWZ* ausgewogen vergeht.
Sie sehen schon, ich tendiere zum Sozialismus,
für mehr Gerechtigkeit im Kerzenbilde.
Nächstenliebe ist gewiss doch ein Muss,
zu Weihnachten, denke ich weise und milde.
Doch meine Frau sagt,
dass könne man so nicht machen,
also wenn man sie fragt
oder Konjunktiv: früge
(da werden Sie lachen)
wäre der Sozialismus eine einzige Lüge
In Woche eins brenne stets nur ein Licht
und zwar immer das Gleiche!
Und das ändern wir auch in diesem Jahr nicht,
so wär` das Gesetz und das reiche.
Dasselbe oder das Gleiche?
Der Unterschied ist groß, sage ich.
Mit Gleichbehandlung erreiche
ich viele, dasselbe aber, das ärgert mich.
Ich wüsste schon, was sie meine,
ich betriebe bloß Wortspalterei,
ich suche doch nur zum Scheine,
Widersprüche in ihren Worten herbei.
*VWZ = Vorweihnachtszeit
Nun gut, dann zeige mir, wo finde ich diese Gesetze?
Vielleicht im Gesetz über Adventskranzkerzen?
Und was passiert, wenn ich diese verletze?,
beginne ich nun ironisch zu scherzen.
Doch meine Frau ist nicht zum Scherzen aufgelegt.
Das wären ungeschriebene Gesetze unserer christlichen Kultur,
sagt sie, und hat sich richtig aufgeregt.
Schatz, sage ich, das Dumme dabei ist nur,
der Brauch ist gerade mal 170 Jahre alt.
Ich weiß, sagt sie: Johann Wichern baute den allerersten Kranz
für arme wartende Kinder, doch schon bald
war der Kranz voll und ganz
Symbol für das zunehmende Licht in dieser Welt,
da die Erwartung seiner Geburt stetig steigt.
Du bist ja so schlau, aber ob es dir nun gefällt
oder nicht, ich bin gar nicht geneigt
anzuerkennen, dass immer dasselbe Licht brennen muss
in Adventswoche eins!
Damit ist, finde ich, endlich mal Schluss,
das ist auch ein Gesetz, und zwar meins!
An diesem Kranz, sagt sie, brennt nur ein Licht
und das ist immer dasselbe in Woche eins.
Ein zweites Licht brennt sicher hier nicht,
ich sage Dir, sonst brennt hier ganz sicherlich keins.
Aah, sage ich, wie kann man nur so stur sein?
Es gibt immer viele Wege zum Ziel.
Schalt deinen Verstand doch mal ein!
Ich kriege hier echt ein` zu viel.
Dabei nehme ich das Feuerzeug und zünde sie an,
die zweite, erste Kerze in der ersten Woche im Advent
und sie, sie schaut mich voller Wut an
und bestätigt, dass sie innerlich kocht, ja vor Wut fast verbrennt.
Dann pustet sie die Kerze aus,
und ich entflamme sie wieder,
und sie pustet sie aus,
und ich entflamme sie wieder.
Und wieder und wieder
und der Streit eskaliert!
Ich drücke sie weg, einfach nieder,
wir werden schon sehen, wer hier verliert.
Sie verliert die Kontrolle jetzt über sich
und beißt mir vor Wut in die Hand.
Und noch einmal hinein beißt sie mich!
Ich glaube, sie verliert den Verstand.
Ich ziehe die Hand weg, mit einem Ruck
und treffe, keine Absicht, wirklich ganz ungelogen
direkt ihr Gesicht, und dieser unerwartete Druck
verursacht durch meinen Ellbogen
verursacht ein Knacken in ihrer Nase.
Sie schreit auf, Blut läuft zum Kinn ihr herunter.
Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, die Furie rase
wie von der Tarantel gestochen umher.
Sie zerkratzt mein Gesicht
und schreit dabei laut:
Ein, Licht, ein Licht, ein Licht!
Und daraufhin ja, da haut
sie und tritt sie und schlägt unkontrolliert um sich
und trifft – aah, so ein Schmerz, mit voller Wucht jetzt mein Bein
und ich natürlich, ich wehre mich
und schreie: Hör endlich auf, lass das sein!
Dann höre ich nichts mehr nur noch ihre Flüche,
denn bei alledem muss der Kranz zu Boden gehen
und alsbald die ganze Küche
in lodernd hellen Flammen stehen.
Der Kranz war 100 Euro teuer,
keift sie und ruft die Feuerwehr.
Das ist ein asozial teures Feuer,
wüte ich und schreie ihr hinterher:
Das ist Kapitalismus in der Vorweihnachtszeit!
Um den Kranz da ist es nicht schade,
doch um die Küche tut es mir leid.
Und in dem Moment schon gerade
kommt bereits die Feuerwehr und hat alle Hände
voll zu tun, dass sie den Brand zu löschen schafft.
Adventskranzkerzenverursachte Küchen- und Stubenbrände
sind häufig, sie war gerade in der Nachbarschaft.
Wahrscheinlich gab es dort zuvor einen Streit,
sagt der Feuerwehrmann.
Gott sei Dank, sie hatten es hierher nicht weit,
sodass man diesen Brand leicht löschen kann.
Versöhnung, denke ich später und besuche sie im Krankenhaus.
Ich bringe auch einen neuen Kranz mit vier Kerzen mit
und schöpfe Hoffnung, denn Sie sieht ruhig und friedlich heut aus,
auch wenn sie noch kurz zuvor litt.
Es ist zweiter Advent zur Adventskaffeezeit
und ich denke mir, ich kann es jetzt wagen.
Ich sage, Du Schatz, es tut mir so leid
aber kann ich dich mal was fragen:
Können wir nicht die gegenüberliegenden Kerzen
diesmal entflammen, das sieht mir ausgewogener aus?
Ihr „Niemals“-Schrei kommt ganz sicher von Herzen.
Sie schreit einfach nur NIEMALS und dann nur noch RAUS!
Ich weiß, als Kerzenentzünderin ist sie linksdrehend
und entzündet dem Uhrzeigersinn immer entgegen.
Was ist Tradition schon, bitte ich flehend,
komm schon, erteile der Moderne den Segen.
Meine Frau röchelt und fasst sich an die Brust.
Da kommt schon die Schwester und schreit:
Aufregen darf sie sich nicht, ich hab es gewusst!
Ich sage: Aber wir hatten überhaupt keinen Streit.
Keinen Streit, sagen sie? Und dann diese Reaktion?
Ihre Frau hat es doch mit dem Herzen.
Ja, sage ich, dass weiß ich wohl schon,
aber wir hatten da diese Frage - über Adventskranzkerzen.
Nun sitze ich allein Zuhaus.
Die Beerdigung ist morgen.
Der Adventskranz sieht so friedlich aus
und verursacht keine Sorgen.
Die Kerzen brennen richtig ab.
Ich hab keinen Grund zur Klage!
Ich weiß dass ich gewonnen hab
in der Adventskranzkerzenfrage!
