Schwanensee oder der erste Konzertbesuch
Lautes Keuchen und Husten herrscht im Saale,
doch dann mit einem Male
ist atemlose Stille.
Gespannter Geist, gestärkter Wille,
der Dirigent
den jeder kennt
vor`s Sinfonieorchester tritt.
Nun, dem Publikum schon abgewandt
hebt majestätisch er die Hand.
Zuhörer starren,
Musiker harren,
Sekunden verstreichen,
das wichtige Zeichen,
gleich muss er`s geben,
das Orchester beleben,
der Chor, er wird singen
und Geigen erklingen.
Da plötzlich erfasst
nervöseste Hast
Reihe vier Platz zehn,
schon versucht er aufzustehn,
doch setzt sich wieder,
denn in seine steifen Glieder
fährt mit Wucht jetzt der Klang
von Bass und hohem Gesang.
Der Meister wirbelt und dreht,
die Haare im Eifer verweht.
Die Geigstöcke gehen auf und nieder,
zaubern melodische Lieder,
Trompeten erschallen,
Becken erknallen,
ja das Konzert bald erfreut
und nur einer bereut
jetzt dort zu sitzen
und voll Unruh zu schwitzen:
Reihe vier, Platz zehn
würd viel lieber jetzt gehen.
So dringend, wenn er doch hätte,
so nah die Toilette
und doch so weit weg –
hat alles kein Zweck.
Die andern still lauschen,
an der Kunst sich berauschen,
nur er kann nichts hören,
wie kann er sie stören?
Wenn er nach rechts raus (?)
Nein, das sieht schlecht aus.
Da sitzt gleich so ne schlanke
200 Pfund schwere Ranke.
Oder schnell linker Hand –
auch zehn Schritt bis zur Wand.
Würd’s nur nicht so drücken.
Auch durch seitliches Rücken
wird der Schmerz nicht gelindert,
bestenfalls wird verhindert,
das Schlimmres passiert.
Eine Frau schaut pikiert
Und ihr Mann wirft nen drohenden Blick!
Ach – hätt er mal dies Missgeschick.
Aber auch grad zu Beginn,
kommt es ihm in den Sinn.
Wie als wärs abgepasst.
Wie ist ihm die Oper verhasst.
Er wollt sowieso nicht hingehn,
doch Ilse wollts unbedingt sehn.
Versteht ohnehin nicht ein Wort.
Ist wohl Latein in einem fort –
und teuer bis zum Übermaß
ist dieser na wärs mal ein Spaß.
Klassik ist ja so schön,
na du wirst es schon sehn,
hört er Ilse noch sagen
und dann gleich ohne zu fragen
ist sie zur Oper gelaufen,
um dort zwei Karten zu kaufen.
Na so ein bisschen war er ja doch dann gespannt,
weil so die Oper hat er noch gar nicht gekannt.
Doch zu seinem größten Verdruss
ist der ach so hohe Genuss,
den die Musik ihm jetzt schenkt
in Jacket und Schlips eingezwängt.
So muss er denn schwitzend
Reihe 4 Platz zehn sitzen.
Nein, er muss jetzt hier raus,
länger hält ers nicht aus.
Die Musik ein Getöse,
auch Ilse schaut böse,
was sie wohl will?
Nun sitz doch mal still!
Nein, wie er das find,
er ist doch kein Kind.
Wimmert er kläglich,
er fänd alles unsäglich,
es ginge ihm dreckig
er müsse so schrecklich?
Nein, still behält er sein Wissen,
Zähne zusammengebissen:
Die Wangen röter als rot
in dieser qualvollen Not.
...
